Podiumsdiskussion am 14. März 2007 im Museum für Naturkunde in Berlin:
Chancen langfristiger Unternehmensentwicklung in Zeiten kurzfristiger Rentabilitätserwartungen

Am 14. März 2007 veranstalteten die Dr. Otto Training & Consulting, der Hanser-Verlag und das Museum für Naturkunde in Berlin eine Podiumsdiskussion. Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft diskutierten das Thema „Chancen langfristiger Unternehmensentwicklung in Zeiten kurzfristiger Rentabilitätserwartungen“. Anlass der Veranstaltung war die Veröffentlichung des Buches Evolutionsmanagement beim Hanser-Verlag.

Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren:

Andreas Scholz-Fleischmann (Personalvorstand, Berliner Stadtreinigungsbetriebe und Organisationsberater)
Wim Furthmann (Executive Director ABM Amro, Power & Utilities)
Dr. Metod Miklus (Technischer Vorstand, Brahms AG)
Prof. Dr. Thomas Speck (Bionik Experte, Universität Freiburg und Direktor des Botanischen Gartens)
Prof. Dr. Wolfgang Kiessling (Wissenschaftler am Museum für Naturkunde in Berlin und Professor an der Humboldt-Universität Berlin)
Dr. Klaus-Stephan Otto (Geschäftsführer, Dr. Otto Training & Consulting und Autor des Buches Evolutionsmanagement)


Zentrale Fragestellung war, wie angesichts zunehmender Konkurrenz und immer kurzfristiger werdender Gewinnerwartung eine langfristige Unternehmensentwicklung möglich ist. Welche Konsequenzen können für die praktische Unternehmensgestaltung gezogen werden und inwiefern kann man aus der evolutionären Entwicklung der Natur lernen?

Herr Scholz-Fleischmann äußerte zum Thema Steuerung und Komplexität: „Wir als Unternehmen, die Politik und der Einzelne in seinem täglichen Leben, versuchen steuernd auf Entwicklungen einzuwirken. Dabei stoßen wir an zwei Grenzen. Das Eine ist, dass die Zyklen von Steuerung und Erfolgsmessung der Systeme, in denen wir arbeiten, in aller Regel kurzfristige sind. Das Zweite ist, dass wir in einer immer dynamischeren und komplexeren Umwelt leben. Die Amerikaner nennen das „Dynaxity“ – als Verbindung von Dynamics und Complexity. Das hat extrem zugenommen: In den letzten 100, 200 Jahren ohnehin, aber besonders wenn man auf die letzten Jahrzehnte zurück schaut. In der Folge bringen Interventionen immer weniger vorhersagbare Ergebnisse. Wir versuchen Kunden zu beeinflussen unser Produkt zu kaufen. Wir versuchen den Geldgeber zu beeinflussen und so weiter. Wir versuchen ständig zu steuern und da wird die Maschinen-Metapher zunehmend untauglich. Einfache Ursache-Wirkungs- Ketten gibt es heute definitiv nicht mehr – vielleicht hat es sie nie gegeben. Da passt die Metapher des Organismus schon viel besser. Aber das bedeutet nicht den Abschied von Steuerung, wir müssen ja trotzdem steuern. Wenn man die Steuerungsmechanismen der Natur analysiert, kann man eine Menge davon abschauen. Aber da sind wir nicht sonderlich weit.“

Herr Miklus zur Frage, was man aus der Entwicklung der Evolution lernen kann: „Für mich wunderbar projezierbar, auch wenn es ein vereinfachendes Bild ist, ist das VAB-Modell. Zuerst Vielfalt herstellen, das sind bei uns als innovationsgetriebenes Unternehmen patentierbare Innovationen, dort ein möglichst breites Spektrum zu haben und aus dieser Vielfalt dann eine intelligente und schlaue Auswahl zu treffen, das heißt sich auf wenige Produkte zu fokussieren und diese erfolgreich zu entwickeln. VAB bedeutet also: Vielfalt herstellen, intelligentes Auswählen aus dieser Vielfalt und durch hohe Qualität Produkte bewahren.“

Herr Prof. Speck zu Selbstorganisation komplexer Systeme: „Gerade Ökosysteme sind hoch komplex vernetzt und zeigen, obwohl sie chaotisch erscheinen mögen, häufig komplexe zugrunde liegende Ordnungsstrukturen. Auffällig dabei ist, dass viele dieser Systeme extrem störungstolerant sind. In der Regel gibt es keine zentralen Steuereinheiten, sondern dezentrale Strukturen. Viele Pflanzenachsen oder pflanzliche Strukturen tolerieren Teilversagen, ohne dass das System seine Funktionsfähigkeit verliert. Es setzen sehr schnell Reparatur- und Bypassvorgänge ein und das System bleibt extrem lange funktionsfähig. Das ist auch interessant für die Übertragung auf die Wirtschaft. Nicht primär darauf Wert zu legen Fehler zu vermeiden, die häufig unvermeidbar sind, sondern zu lernen damit umzugehen.“

Herr Prof. Kiessling zu langfristigen Trends in der evolutionären Entwicklung: „In der Evolution gibt es Phasen, in denen verhältnismäßig wenig passiert – insofern, als dass es wenige Neuerungen gibt und wenige Arten aussterben. Dann gibt es wieder Phasen, in denen extrem viel passiert. Das bekannteste Beispiel sind die fünf großen Aussterbeereignisse in den letzten 500 Millionen Jahren. Dabei starben mehr als die Hälfte aller Gattungen und 70 bis 90 Prozent aller Arten, die auf der Erde gelebt haben, innerhalb von kürzester Zeit aus und machten dadurch den Weg frei für etwas ganz Neues.
Wir sind in der Forschung mittlerweile soweit, dass es bei der Diskussion um Artenvielfalt nicht mehr um die Frage geht, ob der Mensch das Artensterben vorantreibt oder nicht. Sondern es geht darum, ob wir uns bereits in einer Phase des großen Absterbens befinden. Derartige Phasen wie bei dem Sterben der Dinosaurier gab es insgesamt fünf mal in der Erdgeschichte – und vielleicht befinden wir uns jetzt wieder in einer.“

Herr Prof. Kiessling zur Grenze für die Anzahl der Arten: „Es gab zwei bis drei Zeitpunkte
in den letzten 500 Millionen Jahren, zu denen sich die Kapazitätsgrenze nach oben verschoben hat. Das liegt vor allem an einer beschränkten Anzahl von Möglichkeiten Nahrungsressourcen zu erschließen. Es gab allerdings immer wieder Schlüsselinnovationen nach denen es einen kleinen Anstieg gegeben hat. Beispielsweise als Organismen es geschafft haben ins Sediment, also in den Meeresboden vorzudringen und dort neue Nahrungsressourcen zu erschließen. Damit ging ein Diversitätsanstieg einher. Die Besiedlung des Landes hat natürlich auch einen völlig neuen Lebensraum eröffnet.“

Herr Furthmann zum Einfluss der Finanzmärkte auf die Unternehmensentwicklung: „Die Finanzinvestoren haben im Moment in der Öffentlichkeit keinen guten Ruf, wie man an der Heuschrecken-Debatte erkennt. Die Frage, die sich stellt ist, ob die Mechanismen des Marktes eventuell diese Freiheit gar nicht mehr zulassen. Ob die Mechanismen dieses Marktes dazu führen, dass die kurzfristige Rendite im Vordergrund steht. Dass diejenigen Erfolg haben, die es schaffen kurzfristig Gewinne zu erzeugen. Und dadurch eine Dynamik in den Finanzmärkten entsteht, die auch auf Unternehmen ausstrahlt und die Verbindung von Langfristigkeit und Kurzfristigkeit gar nicht mehr ermöglicht. Ist das der Fall? Am liebsten würden alle Marktteilnehmer schnell Gewinne erzielen, aber das ist leider nicht so leicht und deswegen müssen sie langfristige Ziele verfolgen und Dinge über einen längeren Zeitraum analysieren. Es ist für alle Marktteilnehmer sehr schwer, kurzfristig den richtigen Trend zu erkennen, dennoch schafft es der Eine oder Andere und die werden dann oft ins falsche Licht gerückt. Es wird oftmals gesagt, dass Equity Research Analysten, deren Job es ist Analysen von börsennotierten Unternehmen zu erstellen und Empfehlungen für institutionelle Investoren abzugeben, Unternehmen dazu treiben, kurzfristig bestimmte
Zahlen und Ergebnisse zu erreichen. Ich bin der Meinung, dass die guten Equity Research Analysten es schaffen, langfristige Trends zu identifizieren und die Unternehmen in diese Perspektive einzuflechten.“

Herr Prof. Speck zum Thema Anpassung: „Es geht beim Survival of the fittest nicht darum, dass nur die Bestangepassten überleben. Vielmehr sterben die am schlechtesten Angepassten aus. Dies kann man auch auf die Wirtschaft übertragen, beispielsweise bei Produkten. Ein am „besten angepasstes“ Produkt muss nicht nur von der Funktionalität her besonders angepasst sein, sondern auch hinsichtlich des Preises. „Survival of the Cheapest“: Das heißt, du musst nicht unbedingt hoch spezialisiert sein. Du musst nur gut genug sein, aber billig. Wird denn nur das beste und teuerste Gerät gekauft? - Oder kaufen die meisten nicht eher jenes, das gut genug aber billiger ist und werfen es nach drei Jahren weg. Das kann eine gute evolutive Strategie sein: gut genug und billig, bietet unter Umständen den längerfristigen Erfolg als der best Angepasste und zu stark spezialisiert zu sein.

Herr Prof. Kiessling zum Thema Spezialisten/Generalisten: „In der Wirtschaft wie auch in der Natur existieren Spezialisten und Generalisten. Sie stehen für verschiedene Überlebensstrategien. Generalisten sind in Bezug auf ihre Nahrung/Umwelt/ Lebensbedingungen bzw. Angebot/Zielgruppe nicht stark festgelegt und deswegen sehr anpassungsfähig und resistent gegenüber Veränderungen. Spezialisten auf der anderen Seite sind in ihrer Nische perfekt angepasst, dafür aber auch abhängig von den Lebens- bzw. Wirtschaftsbedingungen.“

Weitere Fragestellungen der Diskussion waren: Wie erleben die Unternehmensvertreter in ihrem eigenen Umfeld die Spannung zwischen kurzfristigen und langfristigen Anforderungen und welche Entwicklungen sind zu beobachten?
Was macht eine gute, langfristige Unternehmensentwicklung aus? Was sind fördernde und hindernde Faktoren für eine langfristige Unternehmensentwicklung? Wie laufen kurzfristige und langfristige Entwicklungen in der Natur ab? Welche Muster und Abläufe sind erkennbar? Was ist zu beobachten, wenn sich neue Arten entwickeln oder alte aussterben? Wie kann Nachhaltigkeit gesellschaftlich aber auch unternehmensintern umgesetzt werden?

Als Dokumentation der Veranstaltung ist eine Broschüre zum Preis von 5,00 € (zzgl. 1,50 € Versandkosten) erhältlich. Bei Interesse wenden Sie sich bitte an Dr. Otto Training & Consulting.

 

 
Dr. Otto Training und Consulting